Der Leistungssport hat hierzulande keinen Stellenwert
Einerseits herrscht hierzulande ein nie dagewesener Fitness-, Bio-, Personal-Training-, Vegan-, Paleo-, schlicht: ein Gesundheitswahn. Andererseits erodiert der Leistungssport. Denn sein Stellenwert sinkt.
Ein neues gesellschaftliches Ideal hat sich entwickelt. Heute muss man gesund und fit sein, mit geringem Körperfettanteil, makelloser Haut, mens sana in corpore sano. Letztlich heißt das: Man muss funktionieren. Man optimiert sich für die Karriere. Keine junge Generation war je so angepasst, so brav, so stromlinienförmig wie die jetzigen Schüler und Studenten, die Generation Bachelor. Die Mittelschichts-Jugend besteht darin, gute Noten zu sammeln, an eine gute Uni zu kommen, Praktika bei den richtigen Firmen zu machen – und das vor allem schnell. So steht man nach seinem Bachelor-Abschluss dem Arbeitsmarkt im „Optimalfall“ schon mit 20 oder 21 zur Verfügung. Das ist, was Arbeitgeber und Politik wollen. Eine lange Lebensarbeitszeit, niedrige Einstiegslöhne, Formbarkeit, Flexibilität.
Diese Selbstoptimierung setzt sich in der wenigen Freizeit fort, die neben dem verschulten, durchgetakteten Ausbildungs- oder Arbeitsleben bleibt. Man geht ins Fitnessstudio und formt seinen Körper, wie man seinen Lebenslauf formt. Immer in der Absicht den eigenen Marktwert zu steigern. Leistungssport ist aus Sicht der Wirtschaft, der Politik und des typischen Vertreters dieser Generation „unvernünftig“ , es fehlt die Rendite – mit Ausnahme der wenigen Sportarten, in denen man als Athlet reich werden kann.
Ein Abstieg
Sport, der heute einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert erreichen will, muss vor allem eines: unterhalten. Die Entertainment-Industrie um medial gepushte Event-Sportarten wie Biathlon und vor allem den keinen anderen neben sich duldenden Gott unter den Sportarten, Fußball, verdient Milliarden. Zum Vergleich: Den gesamten Spitzensport Deutschlands fördert das Bundesinnenministerium mit rund 130 Millionen Euro jährlich. Das sind 100 Millionen weniger als der FC Bayern München pro Jahr für sein Personal ausgibt. Bei den vergangenen Olympischen Winterspielen holten deutsche Athleten 43 Prozent, bei den Sommerspielen 66 Prozent weniger Medaillen als vor rund drei Jahrzehnten. Die Leistungen an der Spitze der Sportpyramide werden schwächer. Und auch die Basis wird immer schmaler – und bröckelt weg. Das liegt zum einen an der Demographie: 2014 lebten rund 19 Prozent weniger Kinder bis 14 Jahre in Deutschland als noch 20 Jahre zuvor. Zum anderen am heutigen Lebensstil. In einer Studie des Robert-Koch-Instituts wurde festgestellt, dass es 86 Prozent der vier- bis 17-Jährigen nicht schaffen, eine Minute lang auf einem Bein zu stehen. 43 Prozent erreichen beim Rumpfbeugen den Boden nicht. Die Sprint-Studie ergab, dass die durchschnittliche Beweglichkeit der Kinder, ihre Schnelligkeit, Ausdauer und Kraft in den vergangenen 25 Jahren um zehn bis 15 Prozent zurückging. Diese Entwicklung wird so weitergehen. Dazu tragen der weitere Ausbau der Ganztagsschulen, der bewegungslose, sitzend auf kleine oder große Bildschirme zu starren ausgerichtete Lebensstil sowie der sinkende Stellenwert des Leistungs- und Schulsports genauso bei wie die zunehmende Angst vor dem sozialen Abstieg. Die einzige Hoffnung wäre ein Gegensteuern der Politik. Eine Aufwertung und Ausweitung des Schulsports, ein Stärken der Vereine und Verbände, ein Lichten des wuchernden Bürokratie-Dschungels, ein Orientieren an den Verbands- und Förderungs-Strukturen erfolgreicher Länder. Dies wird sicher bloßes Wunschdenken bleiben. //