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Jenseits von Afrika - das deutsche Team BikeAid

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16.07.2015

Das Land liegt zwischen Äquatorialguinea, Kamerun, dem Kongo und dem Atlantik, der Äquator schneidet es ziemlich genau in zwei Hälften, das Klima ist tropisch, das ganze Jahr über heiß, mit ausgiebigen Regenzeiten und einer extremen Luftfeuchtigkeit von bis zu 98 Prozent. Willkommen in Gabun! Willkommen zur wichtigsten Etappenfahrt Afrikas, dem einzigen UCI 2.1 Rennen des Kontinents: der Tropicale Amissa Bongo.

Timo Schäfer ist zum zweiten Mal hier. Als Fahrer. Auf ihn warten acht Etappen mit insgesamt fast 1.000 Kilometern durch die tropische Hitze. Schäfer hat einen Vollzeitjob, nebenher hilft er mit, ein besonderes Radteam aus Deutschland zu organisieren: das Team BikeAid. Hier zählen nicht nur Erfolge. Das Team soll die Welten verbinden, Afrika und Europa, Armut und Reichtum, Entwicklungsstadium und grenzenlose Möglichkeiten. Das Mittel, mit dem dies alles ermöglicht werden soll: der Radsport. 

Eine andere Welt

Deshalb ist das Team auf der ganzen Welt unterwegs, Europa, Asien, Nord- und Schwarzafrika, Nord-, Mittel- und Südamerika. In den kolumbianischen Anden, dem marokkanischen Atlas, dem taiwanesischen, dominikanischen oder gabunischen Dschungel. 

„Dass wir zu der Rundfahrt nach Gabun eingeladen werden, haben wir erst einige Wochen vor dem Start erfahren“, sagt Timo Schäfer. Die finale Startzusage kam, nachdem der BikeAid-Fahrer Mekseb Debesay zu Afrikas Radsportler des Jahres 2014 gewählt worden war. 

Nun also Gabun. Wie im Jahr zuvor. Auch die deutschen Fahrer haben schon Erfahrungen bei Rennen in Afrika gesammelt. Man steigt aus dem Flugzeug und taucht ein in eine andere Welt. Doch Gabun ist anders als weite Teile Afrikas: Man sieht fast keine fahrenden Relikte asiatischer Kleinbusse, die das Doppelte ihrer Höhe durch aufgeladene Personen, Motorräder und Tiere erreichen. Nach der Ankunft darf das Team wider Erwarten in einem nagelneuen Radisson Blu Hotel einchecken. Die mitgeschleppten Taschen voller Trockenfutter, Müsli und Konserven erweisen sich also – im Gegensatz zu den früheren Afrika-Erfahrungen – als zuviel der Vorsicht. 

Eine neue Erfahrung ist auch, ungeduscht, ohne Essen, teilweise in Rennkleidung ein Flugzeug zu besteigen, um nach einer morgendlichen Etappe abends noch ein Zeitfahren zu bestreiten. Gabun hat ein paar Merkmale, die nicht ganz zu den restlichen Ländern Zentralafrikas passen. Es ist etwa 25 Prozent kleiner als Deutschland und hat nur 1,6 Millionen Einwohner. Im Vergleich zu den umliegenden Ländern floriert die Wirtschaft. Gabun wird ab und an auch die Schweiz Schwarzafrikas genannt. 

Vor dem Start der ersten Etappe zeigt das Thermometer 40 Grad. Und das sagt schon viel über den Zustand der deutschen Fraktion des Teams: krampfhaft. Die Körper streiken schon nach der Hälfte der Strecke. Daniel Bichlmann formuliert es später so: „Ich hatte sogar Krämpfe hinterm Ohr.“ Nur ein Europäer zeigt sich hitzeresistent: Maarten de Jonge hatte die meiste Zeit des vergangenen Jahres in Malaysia verbracht. Sein Körper hat es also lernen müssen, bei tropischen Klimaverhältnissen Rennen zu fahren. Er fährt dann auch ein sehr starkes Rennen und verpasst auf Platz elf nur knapp die Top Ten der Gesamtwertung. Erwartungsgemäß am wenigsten Probleme haben die beiden Afrikaner im Team, Mekseb Debesay und Meron Amanuel aus Eritrea, die immer wieder Top-Ten-Ergebnisse im Tagesklassement erreichen, darunter ein dritter Platz. 

Auf der anderen Seite des Atlantiks und einige, nicht zu viele Breitengrade nördlich von Gabun liegt eine Insel, die jenseits der All-Inclusive-Sternehotels bitteram ist und doch so viel zu bieten hat – eine Rundfahrt mit dem wohlklingenden Namen „Vuelta Independencia Nacional Republica Dominicana“ etwa: die Dominikanische Republik. Die Daten: acht Etappen, 1.200 Rennkilometer.

Die Teams kommen aus der ganzen Welt, auch BikeAid ist dabei. Die Reise führt die Fahrer aus Deutschland über New York zur Hauptstadt Santo Domingo und dauert 16 Stunden. Ankunft: zwölf Uhr nachts. Die Überraschung nach der Landung: Das Hotel, das die Veranstalter organisiert haben, liegt am anderen Ende der Stadt. Santo Domingo ist groß, wuchernd, chaotisch, drei Millionen Einwohner. Die Fahrt dauert mehr als zwei Stunden. 

Die Rache für Kolumbien

Nach dieser wenig geruhsamen ersten Nacht bleibt noch ein Tag, um sich an das Klima zu gewöhnen. Dann beginnt das Rennen. Gleich am ersten Tag schafft es der jüngste Fahrer des Teams, Joschka Beck, das Trikot des Führenden in der Nachwuchswertung zu erringen. Vier Tage lang kann er es verteidigen. Bis er dann doch genauso viel Zeit auf der Kloschüssel wie auf dem Sattel zubringen muss. Die Rache der Tropen. Während Beck viel Zeit verliert, ist sein Teamkollege Yannick Mayer in einer Spitzengruppe unterwegs. Zusammen mit drei Fahrern des starken amerikanischen Teams SmartStop und zwei Kolumbianern von EPM-UNE. Diese haben ihm und den anderen BikeAid-Fahrern im Jahr zuvor in ihrem Heimatland bei der Vuelta a Colombia mit ihren überirdischen Kletterkünsten in den Anden unendliche Schmerzen bereitet. In der Dominikanischen Republik kommt nun die Zeit der Rache: Mayer gewinnt den Sprint der Gruppe und holt damit den ersten Saisonsieg für sein Team.

Auf die Freude folgt das Chaos. Es ist der Tag der Königsetappe. Es wartet ein rund zwölf Kilometer langer Berg mit einer durchschnittlichen Steigung von zehn Prozent. Dieser Anstieg ist wirklich steil und so hat der einheimische Mopedclub sehr viel Mitleid und entsendet eine Hilfsfraktion von gut 25 Fahrern auf röhrenden qualmenden Zweirädern aus, um den einheimischen Radrennfahrern kurzerhand als Lift zu dienen. Diese Aktion war einmalig und skurril mitanzuschauen. Nur die Kolumbianer rund um den Mann im gelben Führungstrikot finden das nicht so lustig. So kommt es dazu, dass die Etappe kurz vor dem Ziel abgebrochen wird, womit nicht alle einverstanden sind. Der Chefkommissär sorgt letztlich für Fakten, indem er einfach davonfährt, womit eine Fortsetzung des Rennens unmöglich ist. Den wilden Haufen lässt er einfach in einem Bergdorf zurück, so dass sich die Königsetappe am Ende zu einem Ereignis mit Klassenfahrtcharakter entwickelt. Dies ist, neben dem eigenen Etappensieg, die prägendste Erfahrung in der Dominikanischen Republik: das Ausmaß der karibischen Leidenschaft.

Wind und Höhenmeter

Nordafrika trennen Welten vom Rest des Kontinents, die Sahara, die Sahel-Zone, die Kultur. Auch das spüren die Fahrer des deutschen Continental-Teams in dieser Saison, bei der Marokko-Rundfahrt. Zehn Etappen, rund 1.200 Kilometer, Regen, Kälte, Hochgebirge und nordafrikanische Gastfreundschaft. Startort: Casablanca. Gleich am zweiten Tag geht es – nach einem zweistündigen Transfer im Bus – auf über 2.000 Meter Meereshöhe hinaus. Hinein in die Berge des Atlas-Gebirges. 

„Nach der letzten Bergwertung ging es wieder ins Tal zum Ziel: Das waren meine schlimmsten Stunden auf dem Rad in dieser Saison. Völlig verfroren konnte ich nicht einmal mehr die Schaltung mit den Fingern bedienen“, erinnert sich Timo Schäfer. Die Temperaturen schwanken zwischen fünf und 35 Grad. Doch das Tückischste kommt vom nahen Mittelmeer: der Wind. Er kommt von vorne, von der Seite, in Böen, die die Fahrer fast vom Rad wehen. Auch das wäre verkraftbar, wenn die einheimischen Fahrer aus Marokko nicht scheinbar nur darauf gewartet hätten, das Feld „auf die Kante“ zu nehmen. Windkanten sind eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, die man während eines Radrennens machen kann. Doch das nehmen die Fahrer und Verantwortlichen des Teams in Kauf. Matthias Schnappka ist beides in Personalunion. Er sagt: „Was die Medien transportieren und was wirklich vor Ort passiert, sind völlig verschiedene Sichtweisen. Wir waren zum Beispiel 2014 in der Ukraine und sind in Kiew Radrennen gefahren, haben den Maidan besucht. Wir waren in Zentralafrika, als die Ebola-Krise in aller Munde war. Wir fahren in Länder mit schwierigen politischen Situationen und machen uns ein eigenes Bild. Mit diesen Erlebnissen versuchen wir, über den Radsport Geschichten zu transportieren, die weit über den Wettkampf hinaus gehen.“ Dort, in Zentralafrika, hat das Fahrrad einen ganz anderen Stellenwert als in Europa. Mit ihm sind Schulen und Brunnen erreichbar, es ist ein notwendiges Transportmittel. „In diesen Ländern finden wir eine Radsportbegeisterung, die es selbst bei der Tour de France nicht gibt. Und es gibt sehr viele Talente, die körperlich alle Voraussetzungen mitbringen, um einmal die Tour zu gewinnen. Man muss ihnen nur die Chance geben.“

 

Das Fahren, Reisen und Erleben in diesen Ländern, fernab des Gewohnten und der eigenen Kutur, sind mit die schönsten, wertvollsten, unvergesslichsten Erfahrungen, die man in seinem Leben machen kann. Immer wieder.  |||||

 

 

Das Team

 

BikeAid ist ein Team der Continental-Kategorie und vereint 25 Menschen aus Ländern auf drei Kontinenten. Der aktuell erfolgreichste Fahrer kommt aus Eritrea: Mekseb Debesay. Er gewann 2014 die UCI-Afrika-Tour. Im Team sind noch drei weitere Afrikaner, ein Kanadier, ein Niederländer und acht deutsche Fahrer. Das Ziel des Teams ist es, vor allem in Afrika soziale Projekte wie etwa Schulen zu unterstützen und afrikanische Radsportler nach Europa zu holen und ihnen damit Chancen zu eröffnen, die sie sonst nie bekämen. Doch BikeAid ist mehr als ein Team. Es ist ein Verein, eine Community, eine Wohltätigkeits-Organisation, die Spendengelder sammelt und ohne Abzug von Verwaltungsgebühren zu 100 Prozent an Hilfsprojekte gibt - bislang über 150.000 Euro. 

 

Mehr über das Team: www.bike-aid.de

 

 

Quelle: 

Foto: Bike Aid und Tour of Rwanda

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