Von Menschen und Bemächtigungen
Gedanken eines RennRad-Lesers zur Situation auf Deutschlands Straßen
Es scheint, als seien diese beiden Personengruppen, die sich zuweilen die allgemeinen Verkehrswege teilen müssen, nur unzureichend sozialisiert und die Unvereinbarkeit sei als krisenhaftes Dauerthema und gegebenes Faktum zu akzeptieren. Was haben denn auch Rennradfahrer auf Deutschlands Straßen zu suchen?
Erst kürzlich auf der Landstraße. Ein Dreißig-Tonner signalisiert durch das beherrschende Ertönen seines Nebelhorns einer Gruppe von Rennradfahrern die Dominanz über den grauen Asphaltteppich und die unruhige laute Schnappatmung des Dieselaggregates verrät dem Rudel, wer hier mit welcher Eile die geladenen Molkereiprodukte abzuliefern hat. Ein wenig später passiert ein hupender PKW den radelnden Konvoi und Spritzwasser aus der Scheibenwischeranlage deutet die Missgunst an, wie mit ungebetenen „Gästen“ umzugehen sei. Einige Motorradfahrer offerieren zeitweilig der vorwärts drängenden Trainingsgruppe ihre virtuose Geschicklichkeit: - Als Radfahrer und „Objekt eines bestehenden Rundkurses“ bin ich keineswegs vom Schneiden der Gruppe beeindruckt! Im Gegenteil!
Mir ist klar, dass Überlegenheitsgefühle und archaische Verhaltensmuster – aus den Tiefen des Limbischen Systems kommend – den Straßenverkehr dominieren: Müssen aber alle Teilnehmer der gesetzten Hierarchisierung bzw. dem „Gesetz der Straße“ folgen?
Imageprobleme
Ich bleibe in der Logik und ordne den Rennradfahrer einer nachgeordneten Minorität von Verkehrsteilnehmern zu, die in der Außendarstellung mit vehementen Imageproblemen zu kämpfen haben. Insofern sind doch die erbosten Zurufe einiger Autofahrer, die ohne jeden Selbstzweifel in die Rolle des Sportpädagogen huschen, gerechtfertigt. Es stimmt doch, dass im Radfahrtrikot ein irgendwie gedopter Freizeitathlet steckt, der nur mit unerlaubten Mitteln aus der „Hausapotheke“ die Beine ohne Pause kontinuierlich zu bewegen vermag!? Der „wissende“ Laie diagnostiziert schon beim Anblick von überproportional gestärkten Beinmuskeln die Substitution illegitimer Substanzen und erhöhte Hämatokritwerte.
Unsere telegenen Vorbilder aus der Branche machen es uns wirklich nicht leicht und nur zu schnell werden berufspolitische Probleme des Dopings von den einschlägigen Medien aus dem gesamtgesellschaftlichen Kontext extrahiert und einem sensationslustigen Massenpublikum portionsgerecht serviert; Reduktionskost ist eben gefragt. Diese quasi vorverdauten und vom Fernsehzuschauer bevorzugten „Reduktionen“ bedienen nicht nur Zuschauerinteressen und befriedigen Bedürfnisse, sondern bilden auch ein Bewußtsein aus – ein falsches Bewußtsein. Der Wunsch nach Entertainment und emotionaler Erregung überhöht sich zu einer weltanschaulichen Lebensauffassung, zur Ideologie, die es so gar nicht gibt und im Profisport teuer bezahlt werden muss. – Erinnern wir Erik Zabel, wie er für die Sinnentleerung und Unverantwortlichkeit seines Handels öffentlich einstehen musste; es ist die unerbittliche Kehrseite einer seelenlosen Kulturindustrie in der Hingabe an den Ökonomismus. – Der Mensch ist nicht nur auf Endlichkeit und Begrenzung einer Körperwelt angelegt, sondern auch auf das Scheitern mit dem Inbegriff eines neuen Anfangs.
Perspektivewechsel ?
Ich fühle mich im Sinne eines Neuanfangs in den Zeugenstand berufen, will Zeugnis ablegen: Autofahrer sind besser als ihr Ruf, tolerieren bereitwillig mit anderen Zeitgenossen die gemeinsamen Sozialräume, was aber nicht Tatsachen relativieren soll. Ist der folgende Gedanke als angebotener Perspektivwechsel so abwegig? Auf unseren schweißgetränkten Verkehrswegen wird intensiv und viel trainiert und vielleicht verbirgt sich zurzeit auf dem Sattel eines nur mittelmäßigen Velos ein jugendliches Multitalent, welches in wenigen Jahren den „Giro“ zu beherrschen weiß. – Ich neige zu Übertreibungen (!), aber nicht in der Feststellung, dass die von mir eingenommenen Nahrungsergänzungsmittel nicht auf der Dopingliste stehen.
Verfasser: Harald Schmereim